Alle Menschen haben eine Scheu davor, sich selbst zu verletzten. Das ist mehr als verständlich und eine vollkommen gesunde psychische Reaktion. Selbst minimale Selbstverletzungen werden gemieden, weil sie schon in der mentalen Vorstellung potenziell als unangenehm, schmerzhaft und zerstörerisch empfunden werden.
Dennoch gibt es eine Reihe von krankhaften Veränderungen, wo Menschen ein selbstverletzendes, sich schädigendes Verhalten an den Tag legen. Menschen mit diesen krankhaften, autoaggressiven Veränderungen, wie zum Beispiel Autismus, schizophrene Schübe oder geistige Behinderungen sollen nicht Gegenstand der Betrachtung sein.
Selbstverletzendes und sich persönlich schädigendes Verhalten wird aber auch bei mental gesunden Personen angetroffen.
Die klassischen Beispiele sind Kamikaze Spezialtruppen.
Japanische Spezialgruppe der Kaiserlichen Marineluftwaffe im Zweiten Weltkrieg, die aus Ledigen, zum erheblichen Teil hoch gebildeten Freiwilligen bestand. Kamikaze steht für Selbstmordangriff auf militärische Ziele. Ein Kamikaze zu werden, war eine Frage der Ehre, baute auf den Traditionen der Samurai auf. Der Opfertod als drastischste Form der Selbstverletzung wurde als heroische Tat bewertet und sollte dem Wohl des kaiserlichen Vaterlandes Japan dienen.
In unserer heutigen Zeit sind es terroristische Selbstmord Attentäter im Namen einer Religion. Ihnen gemeinsam ist, dass sie sich einer Idee unterordnen (aufgezwungen oder selbst gewonnen), die sie verinnerlicht haben, wohl wissend, dass die Erlangung des Zieles ihnen selbst nicht zu Gute kommt. Mal abgesehen von 72 Jungfrauen im Paradies.
Religiöse Selbstmord Attentäter sind überzeugt, dass ihre Handlungen ein Szenario eröffnen, in dem der Attentäter selbst, seine Familie, sein Glaube und sein Gott nur gewinnen können. Dem Attentäter glaubt, dass er im Diesseits keine Vorteile mehr erlangen kann. Selbstmord Attentäter rekrutieren sich aus allen Gesellschaftsschichten.
Der Kerngedanke ist relativ einfach zusammenzufassen. Körperlich und geistig gesunde Menschen können motiviert werden sich selbst zu verletzen oder wie in den Fällen des vaterländischen oder religiösen Fanatismus sich freiwillig und bewusst in den Tod zu stürzen, als der höchsten Form der Selbstverletzung.
Es kommt also auf die Motivation an (oktroyiert oder selbst angeeignet), wann ein Mensch bereit ist, wider der Natur zu handeln, sich selbst zu verletzen ohne einen in unseren Augen persönlichen Vorteil dadurch zu erlangen und zumeist noch andere Menschen durch sein Handeln zu schädigen (verletzen und töten von Unbeteiligten). Attentäter bis zu Selbstmord Attentätern haben keine Angst ihre körperliche Unversehrtheit einzubüßen. Der wohl wesentlichste Unterschied dieser durch nichts zu verteidigenden Radikalen zum „Nicht-Attentäter“ ist die Überzeugung für sich und die Gesellschaft das Richtige zu tun.

Aber was hat das alles mit Diabetes zu tun?
Die Antwort ist simple und fast alle haben das im Biologieunterricht schon mal gehört. Das einzige, die Blutglukose senkende Hormon „Insulin“ ist ein Protein. Fremdproteine, früher auch als Fremdeiweiß bezeichnet, werden vom Körper als unerwünschter, potenziell Krankheiten auslösender Störfaktor bekämpft. Daher „zerhackt“ der Körper den fremden organischen Stoff, wenn dieser versucht in den Körper einzudringen, wodurch das Fremdprotein seine Eigenschaften und damit auch seine Wirkweise verliert. Das Protein denaturiert. Insulin als Pille genommen oder Saft getrunken, verliert damit durch den Verdauungsprozess folglich seine Wirksamkeit. Natürlich hat man früher und auch heute noch in der Forschung nach anderen Möglichkeiten gesucht, diesen Denaturierungsprozess von Insulin zu verhindern. Aber Fakt ist, nichts davon ist praktisch einsatzfähig, da Insulin direkt in die Blutbahn gelangen muss, um seine Wirksamkeit der Bluglukosesenkung zu entfalten. Selbst so kreative Wege sich ein Insulinzäpfchen über den Allerwertesten einzuführen, wie es in den 70iger Jahren einmal von Berlin-Chemie angedacht, erwiesen sich für die Praxis als nicht tauglich. Insulin Spray war über 1-2 Jahre in den 80ern der Shootingstar. Ob als Nasenspray oder als Inhalat. Beide Applikationen waren einfach zu handhaben, jedoch schon nach kürzester Zeit zeigte sich, dass unendlich viele negative Nebeneffekte bei längerer Anwendung nachweisbar waren. Schnupfen, Bronchialentzündungen und dergleichen mehr. Aktuell oder seit mehr als 20 Jahren wird an transdermalen Insulinpflastern gearbeitet. Durchaus schon mit Erfolgen in der Forschung belegt. Der Kick muss allerdings sein, dass das Insulin entweder gleichmäßig freigesetzt wird und somit als Basis für den körpereigenen Bedarf fungieren kann oder je nach Bedarf in Abhängigkeit zur Blutglukosehöhe ausgeschüttet werden kann. Einen Namen geistert bereits durch die Fachwelt: Smart pumps. Man darf also gespannt sein.
Dennoch der aktuelle Wermutstropfen: Insulin muss nach wie vor gespritzt werden, unter die Haut oder direkt in die Blutbahn appliziert werden. Ohne Zweifel ist damit das Spritzen von Insulin eine Selbstverletzung. Ein Piek unter die Haut.
Aber ist es auch eine selbst schädigende oder auch andere Menschen verletzende Tat?
Die Antwort darauf ist klar und deutlich NEIN!

Insulin zu spritzen rettet das Leben des Betroffenen, schädigt niemanden. Dies gilt uneingeschränkt zu 100 % für alle Menschen mit einem Insulinmangel Diabetes. Ohne Insulin ist die Erkrankung tödlich. Dies gilt aber auch für alle Menschen, die an einem Typ-2-Diabetes oder einen anderen Form von Diabetes (z. B. Schwangerschaftsdiabetes = Gestationsdiabetes) erkrankt sind. Spätestens jedoch dann bei Typ-2-Diabetes, wenn die eigene Insulin Produktion ein so niedriges Level erreicht hat, dass auch mit dem Versuch der Stimulation durch Lebensstiländerung plus antidiabetischer Tabletten die Blutglukose nicht in Schach gehalten werden kann. Im Gegensatz zum Typ-1-Diabetes, der in kürzeren zeitlichen Abläufen lebensbedrohlich entgleist, kann dies für die Mehrzahl der Typ-2-Diabetiker ein sich über Jahre hinziehender Prozess sein. Der relative Insulinmangel Diabetes Typ 2 mutiert dann zu einem absoluten Insulinmangel Diabetes.
Um diese dann dauerhafte Insulinabhängigkeit zu vermeiden, plädiere ich für eine intelligente Insulintherapie. Das heißt, Insulin immer dann anwenden, wenn der Stoffwechsel entgleist und wieder normalisiert werden muss. So kann die schädigende Glukotoxizität (die Glukose wird giftig für den Körper) reduziert werden. Ein sinnvolles und vor allem erfolgreiches Rotationsschema, wie meine Erfahrungen belegen. Der Vorteil liegt auf der Hand, da keine der aktuell verfügbaren medikamentösen Behandlungsmaßnahmen ausgereizt wird, sondern man die blutglukosesenkenden Medikamente, sofern keine Kontraindikationen oder Nebenwirkungen für die Verordnung vorliegen, immer wieder in einem Rotationsschema einsetzen kann. Das ist eine individuelle, flexible Therapie, die sich anhand des persönlichen Lebensrhythmus orientiert und gleichzeitig die körpereigene Insulinproduktion schont. Hier gewinnt die Feststellung „einmal Insulin, heißt nicht immer Insulin“für den Typ-2-Diabetes eine neue Dimension. Frühzeitige Insulintherapie zur richtigen Zeit, flexibel und individuell angepasst, schont die eigene Insulinproduktion und eröffnet die Möglichkeit, die Insulintherapie wieder zu beenden, wenn der Stoffwechsel wieder gut ist.
Denn eines sollte jeder immer im Hinterkopf behalten. Diabetes ist eine lebenslange, seit über 2000 Jahren nicht heilbare Erkrankung, deren erfolgreiche Behandlung im wesentliche davon profitiert, wie gut die blutglukosesenkenden Maßnahmen mit dem tatsächlichen Lebensbedingungen übereinstimmen und in der Praxis auch vom Betroffenen eingehalten werden oder werden können.

Meine Empfehlung:
Lehnen Sie sich ruhig einmal zurück und denken darüber nach, was Sie wollen. Beachten Sie dabei, dass Ihr Arzt Ihnen nur Empfehlungen geben kann, jedoch nicht Ihr Leben lebt. Ihren Lebensstil, ihre Belastungen, Ihre Flexibilitäten im Alltag kennen nur Sie allein. Sie managen Ihren Alltag, warum nicht erfolgreich dann auch Ihren Diabetes? Sie wissen, dass sich Lebensbedingungen ändern können, auch durch Krankheiten beeinflusst werden. All diese Änderungen schlagen sich in der Regel im Blutglukoseverlauf tagtäglich nieder. Ein schlecht behandelter Diabetes verursacht keine Schmerzen, aber ein mieses Wohlbefinden und bei über 99% der an Diabetes Erkrankten nach Jahren Komplikationen an vielen Organen. Diese Komplikationen sollten Sie als unangenehm, zerstörerisch und schmerzhaft einstufen. Diese Komplikationen erzeugen zusätzliche oder besser die wahren Abhängigkeiten.
Natürlich kann niemand sagen, was einen im Alter erwartet, aber ich kann aus 40 jähriger Betreuung von Diabeteserkrankten sagen, wer seinen Zucker mehrheitlich im Griff hat, reduziert die körpereinschränkenden und abhängigmachen Folgeerkrankungen durch einen schlecht eingestellten Diabetes um ein gerütteltes Maas.

Haben Sie keine Angst vor der Insulinspritze. Die ist wie ein Mückenstich. Nehmen Sie Ihre Diabetestherapie erfolgreich in die eigene Hand. Das ist alles eine Frage der Motivation oder wie es in medizinischen Fachkreisen so schön heißt Ihres patient empowerment in eigener Sache.

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