Grundsätzliches

Bekanntermaßen kann man die Blutglukosehöhe weder riechen noch erahnen. Sie muss gemessen werden. Je häufiger die Möglichkeit besteht, die Glukose ohne viel Aufwand zu erheben, desto sicherer und schneller können Therapie-Anpassungen durch den Diabetiker vorgenommen werden, um die Glukose im Zielbereich zu halten. Das Ziel jeder Diabetesbehandlung heißt: keine Komplikationen durch eine schlechte Stoffwechselführung. Von besonderer Bedeutung ist die Vermeidung der Akutkomplikation „schwere Hypoglykämie“, die nicht nur eine Handlungsunfähigkeit des Diabetikers hervorruft, sondern auch schwere organische Schäden begünstigen kann. Wie schnell sich eine schwere Hypoglykämie anbahnt, ist individuell jedoch sehr unterschiedlich. Zumeist merken die Betroffenen körperliche Frühwarnsymtome (adrenerge Reaktion) wie zum Beispiel Heißhunger, Schwitzen, Unruhe, Herzklopfen. Aber das gilt leider nicht für alle Diabetiker. Und, zu allem Überfluss wissen wir, dass nächtliche Hypoglykämien (Unterzuckerungen) zweimal häufiger auftreten als am Tag und häufig auch verschlafen werden. 

Besonders gefährdet in eine Hypoglykämie abzugleiten sind Typ-1-Diabetiker (T1DM), die kein oder kaum eigenes Insulin mehr produzieren und bei überhöhter Insulindosis nicht befähigt sind, den blutglukosesenkenden Überschuss an Insulin rechtzeitig durch Essen von Kohlenhydraten abfangen zu können. Das gilt auch für alle anderen Diabetiker, die durch Medikamente (Insulin oder auch insulinotrope Tabletten) mehr Insulin im Blut aufweisen als sie zu diesem Zeitpunkt benötigen.

Seit über 40 Jahren beschäftige ich mich mit der kontinuierlichen Glukosemessung (CGM). Anfang 2000 war es endlich soweit, dass wir die ersten klinischen Untersuchungen starten konnten. Die Glukose wird nicht mehr im Blut gemessen, sondern im sogenannten interstitiellen Raum (der mit Flüssigkeit gefüllte Raum zwischen den Zellen). Der unter der Haut liegende Messsensor überträgt die Daten auf einen an der Haut befestigten Transmitter und dieser Transmitter sendet die Daten an ein Ablesegerät. Die Abbildungen in den Bildern verdeutlichen das Prinzip.

Seit wenigen Jahren sind auf dem Markt funktionsfähige, gute Messsysteme für den praktischen Gebrauch verfügbar. Die erfreuliche Nachricht, seit 2016 sogar durch das G-BA als Kassenleistung anerkannt. Das Leben vieler Diabetiker ist um ein Vielfaches leichter geworden. Das ist genau die Entwicklung, für die ich mich seit Jahrzehnten als Diabetologe einsetze.

 

Die Tücken beim Dexcom® G4/G5

Die tägliche Habtachtstellung des Diabetikers oder der Angehörigen eines nicht selbstständig agierenden Diabeteserkrankten (care givers), die Glukose nicht lebensbedrohlich entgleisen zu lassen, wird zusätzlich durch Anzeigen von Trendpfeilen auf dem Display und akustische Warnfunktionen reduziert. Der akustische Alarm wird erst beendet, wenn der Betroffene aktiv eingreift.

Das Dexcom® G4 und das G5 geben Alarme für verschiedene Zustände. Dazu zählen hohe und tiefe, schnell steigende und fallende Werte; Distanzalarm zum Empfänger und ein Alarm für den Ausfall des Sensors. Zusätzlich wird frühzeitig ein Alarm vor Ablauf der werksseitig künstlich gesetzten Schranke der Sensorsfunktionsfähigkeit auf 7 Tage anzeigt, damit ein neuer Sensor gesetzt werden kann, um keine Lücken in der Stoffwechselüberprüfung entstehen zu lassen. Eigentlich könnte der Sensor viel länger arbeiten, wie die praktischen Erfahrungen von findigen Usern belegen. Aber das will der Hersteller eigentlich nicht. Die Company will vorrangig Geld verdienen, aber das nur nebenbei. Auch ganz nebenbei, für Diabetiker, die sich interessieren, wie beim G6 die Laufdauer des Sensors erhöht werden kann.

Noch eine wichtige Information.

Seit 2018 wird ein Quartalsbedarf mit 12 Sensoren als Einstiegspaket oder Folgeverordnung als Standard verkauft. Lassen wir einmal die Feststellung weg, wie viele Tage ein Quartal hat und setzen durchschnittlich 91 Tage an, dann ist die aktuelle Tragedauer eines Sensors auf 7,58 Tage angehoben worden. Eine skurrile Tragedauer, denn offiziell wird immer noch die garantierte Funktionsfähigkeit der G4/G5 Sensoren mit 7 Tage angegeben.

 

 Der Hype um die akustischen Warnungen

Die akustischen Warnungen wurden von der Firma Dexcom® (früher Nintamed® in Deutschland) zu einem wahren Hype des Besonderen herausgekehrt. Seht her, wir sind besser als alle anderen kontinuierlich messenden Systeme. Diese Besonderheit, auch als real time CGM (rtCGM) bezeichnet, schlägt sich logischerweise auch in der Preiskalkulation nieder. Dexcom® G4/G5 Geräte sind teuer. Teurer als andere Systeme, die mit der gleichen Messmethode arbeiten. Aber „Sicherheit”, die den Anwender mit einem Reminder unabhängig von seinem Handeln mahnt, hat ihren Preis. Das muss jedem einleuchten. Ein Einstiegspaket G4 kostet 2.069 € / G5 Einstiegspaket 1.831€ und  das Folgepaket 1.117 € (Quartalsbedarf). Das sind beim G4 Jahreskosten von 5.420 € und G5 Jahreskosten von 5.182€. Aber ist das gerechtfertigt?

 

Keine Sicherheit, keine Warnung über viele Stunden möglich

Selbst wenn alle Warnfunktionen korrekt eingestellt sind, kann es jedoch passieren, dass der Anwender auf dem Display re. oben drei Fragezeichen (???) sieht (siehe in den Dias).

 Erhält der Anwender ein akustisches Signal, wenn die drei Fragezeichen (???) im Display erscheinen und er auch keinen Glukosewert ablesen kann? Nein. Er bekommt gar nichts. Das System ist nicht funktionsfähig und das wird dem User auch nicht akustisch mitgeteilt. Die Firma Dexcom® schreibt dazu lakonisch:

„Die Fragezeichen im Statusbereich bedeuten, dass der Sender die Sensorwerte vorübergehend nicht interpretieren kann. Es kann bis zu 3 Stunden dauern, bis diese wieder verschwinden. Falls die Fragezeichen nach 3 Stunden weiterhin angezeigt werden, wenden Sie sich bitte an Ihren lokalen Vertriebspartner.“

Aber wann haben die 3 Stunden des Funktionsausfalls begonnen? Als der Anwender per Zufall oder aus unklaren körperlichen Befindlichkeitsstörungen auf das Display des Empfängers oder seines Handys geschaut hat? Um welche Uhrzeit hat die Funktionslosigkeit des Gerätes wirklich eingesetzt und keine Glukosewerte und Trendpfeile mehr geliefert, wurden keine Alarme für Grenzwerte oder Gradienten mehr verzeichnet? Der Anwender oder die helfende Zweitperson steht im wahrsten Sinne des Wortes “vor Fragezeichen”.

Damit ist die Sicherheit verlässlicher Warnungen und akustischer Reminder beim Dexcom® G4 und G5 bei dieser Funktionsunfähigkeit des System nicht gegeben. Wäre dem User oder seinem Follower bewusst, dass das System ausgefallen ist, könnte er bei Bedarf mittels herkömmlicher Blutglukose Messung Klarheit über seinen Glukoseverlauf erlangen.

Kurz und knapp: dem Träger eines G4 oder G5 Systems wird eine Sicherheit vorgegaukelt, die das System nicht hat. 

Das kann besonders bei gehäuften nächtlichen Hypoglykämien dramatisch sein. Mütter, Väter oder Aufsichtspersonen, die dank der Alarm-Anpreisung friedlich und entspannt durchschlafen, drauf trainiert sind sofort zu erwachen, wenn ein akustischer Alarm ertönt, um frühzeitig Hilfe einzuleiten und schwere Hypos mit Krampfanfällen zu vermeiden, werden nicht gewarnt, wenn die Glukose den Zielbereich verlässt.

Nun kann man jedem empfehlen auf das G6 System umzusteigen. Es gibt im G6 jetzt einen zusätzlichen „Urgent Low Soon“-Alarm, der zielsicher und frühzeitig vor einer sich anbahnenden Unterzuckerung warnen soll. Das gilt es im “Elch-Test” zu beweisen, da das G6 System erst seit knapp 1 Jahr auf dem Markt ist. Aber, und das gebe ich zu bedenken, der Sensor zeigt keine gravierenden Unterschiede zum G4/G5 Sensor in Bezug auf die Alarmgebung beim Ausfall des Systems.

Obwohl die Firma Dexcom® seit Jahren hinreichend auf das Problem der mangelnden Sicherheit von vielen Seiten direkt aufmerksam gemacht wurde, sah Dexcom® keine Veranlassung das Sicherheitsrisiko für die User zu beenden. Dadurch wurde das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArMs) im November 2018 eingeschaltet, die das Sicherheitsrisiko bestätigte und Nachfolgendes in der  Korrespondenz mit Dexcom® USA mitteilte:

„Aus Sicht des BfArMs muss spätestens nach 15 Minuten eine akustische Warnung den Nutzer auf die Fluktuation aufmerksam machen. Ein rein visueller Hinweis ist für den schlafenden oder stark beschäftigten Nutzer nicht ausreichend und er kann keine entsprechende Gegenmaßnahme unternehmen und ist sich der möglichen Gefahr einer Unter- oder Überzuckerung möglicherweise nicht bewusst.”

Des Weiteren wurde unsere Frage nach dem längst möglichen Zeitrahmen einer auftretenden Fluktuation nicht beantwortet. Was ist der längst mögliche Zeitraum, den eine Fluktuation prinzipiell dauern kann?“

Antwort  von Dexcom®:

“Eine Änderung ist nur insofern möglich als dass nach 3 Stunden ein Alarm ausgelöst werden kann, aber nicht nach 15 Minuten. Mit der nächsten Generation will man das ändern (G6) und zusätzlich eine Warnung auf die Internetseite für die User des G4 und G5 setzen.”

Die wenig hilfreiche Feststellung (Warnung), dass das System nicht funktioniert, wenn drei Fragezeichen (???) angezeigt werden, habe ich hier zitiert. Beim G6 System soll nach 20 Minuten Systemausfall ein Alarm Warnung gegeben sein.

Viele Passagen in den Antworten sind laut BfArM „gänzlich geschwärzt, bei denen es sich um Stellungnahmen des Herstellers handelt, die sich nicht alleine auf das von Ihnen gemeldete Vorkommnis beziehen.“ Auf der Dexcom® US Internetseite, dem Mutterkonzern, gibt es aber nur die Diabetes Dexcom® Produkte. Da muss man sich auch als Diabetologe mit ausreichender Erfahrung bei Blutkontrollsystemen inklusive des CGM fragen, welche Gefahren oder Beschwerden sind beim BfArM noch eingegangen.

 

Schlussfolgernde Empfehlung:

  • User, die G4 oder G5 nutzen, sollten sich nicht auf die Alarmgebung verlassen.
  • User sollten mehrfach am Tag und vor der Nachtruhe gezielt kontrollieren ob das System funktionsfähig ist.
  • Im Zweifelsfall oder zur Sicherheit sollte die Blutglukose mit einer herkömmlichen Meßmethode bestimmt werden.
  • Auch über einen Systemwechsel sollte nachgedacht werden, ein Wechsel zu anderen Anbietern ins Kalkül gezogen werden. Bis? Bis klar ist, dass diese nicht zu tolerierenden Sicherheitslücken beseitigt sind.
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