Vorweg eine kleine Info

Die Firma Dexcom© teilte mir nach meiner am 05. Februar 2019 veröffentlichten Warnung mit, dass man mit Hochdruck an der Beseitigung der Sicherheitslücke bei den G4/5 Sensoren arbeiten würde. Das ist gut! Bei einer Wachstumsrate von 42% und mehr als $ 1.025 Milliarden Mehreinnahmen gegenüber 2017 (J.P. Morgan Healthcare Conference | January 7, 2019) sollte es schon möglich sein, mehr in die Sicherheit der Systeme zu investieren.

Ich bin ein absoluter Befürworter und auch jahrzehntelanger Promoter der Entwicklung einer kontinuierlichen Glukosemessung, da diese dem Diabetiker das Leben unendlich erleichtert und mehr individuelle Freiräume bei guter Stoffwechselführung eröffnet. Wie konstatierte eine Patientin in der Zeit vor der kontinuierlichen Glukose Kontrolle absolut richtig „eine Abwesenheit in der Anwesenheit des Diabetes kann man sich nicht leisten”. Diese Zeit permanenter Habtachtstellung, um seinen Stoffwechsel gut zu gestalten, wird mit dem CGM schrittweise minimiert und eröffnet ein neues Kapitel des patient empowerment.

Bereits 1998 hatte ich das Vergnügen, nach einer Einladung durch den Eigentümer von Minimed©, Alfred Mann, in Kalifornien die ersten Prototypen eines CGM Systems kennenzulernen (siehe Bilder). By the way, die Forscher kamen aus dem Zentralinstitut für Diabetes Karlsburg-Greifswald, die der gewitzte Milliardär Al Mann nach Mauerfall für Minimed gewinnen konnte. Aus dieser Entwicklung ist letztendlich Dexcom© hervorgegangen. Wer Spaß hat und auch die weitere Entwicklung lesen will, hier ein Interview das Beyond typ1 mit dem aktuellen CEO von Dexcom© Kevin Sayer im März 2018 geführt hat.
Aber wie heißt es so schön in jeder Werbung „Bei Risiken und Nebenwirkungen fragen Sie Ihren Arzt oder Apotheker…“. Die Risiken waren auch 1998 Gegenstand meiner Diskussion mit Al Mann bei einem wundervollen Dinner-Meeting in seinem Haus in Malibu. Sicherheitsrisiken müssen getestet und sofern bekannt, dem User mitgeteilt werden, damit er entsprechende Vorkehrungen treffen kann, um sein Gefahrenpotential zu minimieren. Sicherheit zu suggerieren, wo keine Sicherheit gegeben ist, darf nicht toleriert werden. Keine Alarmgebung wenn das System keine Werte liefert, ist ein großes Risiko für alle Patienten, die zu Stoffwechselentgleisungen und vor allem Hypoglykämien neigen. Insofern stimme ich mit dem (BfArMs) und seiner Stellungnahme vom November 2018 völlig überein, wenn es dazu auffordert, die aktuelle Sicherheitslücke beim G4/G5 als nicht tolerabel einzustufen. Nicht alle User sind Berufsdiabetiker, die sich ausschließlich mit ihrem Equipment und den notwendigen Anpassungen befassen und selbst Freaks müssen gelegentlich schlafen.

 

Rückbesinnung auf das Ziel jeder Diabetestherapie

Das Ziel jeder Diabetestherapie lautet: keine Komplikationen! Im Detail heißt das, keine schweren Hypoglykämien und keine hyperglykämischen Stoffwechselentgleisungen, die kurz-oder langfristig zu körperlichen oder geistigen Einschränkungen durch „nicht-normale“ Glukosewerte führen. Grundvoraussetzung ist es daher zu wissen, wie hoch ist die Blutglukoset, die man nicht riechen oder fühlen kann. Blutglukose muss gemessen werden! Und es liegt auf der Hand, je häufiger gemessen wird, desto erhellender der Weg der Erkenntnis, die richtigen therapeutischen Schlüsse aus dem Wissen zu ziehen. Voraussetzung ist logischerweise, dass der User auch annähend korrekte Messergebnisse erhält. Das nennt man gemeinhin Verlässlichkeit, denn ohne Angabe über die Zuverlässigkeit einer Messaussage ist die Aussage von zweifelhaftem Wert.

 

Die MARD – keine Qualitätskontrolle für verlässliche Werte

Für die Qualitätskontrolle gilt als verlässlicher Glukosewerte bei Reflektometern die DIN EN ISO-Norm 15197:2015. Die Messabweichungen dürfen maximal ± 15 % betragen, egal ob der gemessene Wert ≥ oder ≤  100 mg/dl (5,6 mmol/l) beträgt. Diese Vorgaben müssen bei 95% aller Messwerte erfüllt sein. Damit ist Jedem klar, wenn auf dem Reflektometer ein Wert von 100 mg/dl angezeigt wird, liegt der reale Wert im Blut zwischen 85 mg/dl und 115 mg/dl. Das ist eine klare und verlässliche Spannbreite, um therapeutische Maßnahmen zu veranlassen.

Mit einem mathematischen Kunstgriff (Modellrechnung) wird für das CGM als Bewertungsgröße die „mittlere relative absolute Abweichung (MARD) eingeführt. Die MARD darf, wie der Name eigentlich schon sagt „relativ ! – absolut!“, ja was denn nun?,  nicht als genaue Werteangabe verstanden werden, sondern als einen Wegweiser mit Unsicherheiten. Das liegt an den Auswertungsverfahren gegen eine referenzierte YSI 2300 STAT Plus Glucose Methode. Kurz gesagt, welche Werte der „Designer der Studie“ in die Auswertung einbezieht. Number of paried points (Anzahl der Messungen, die verglichen werden) heisst die Zauberformel.

Damit spiegelt die MARD nicht die Genauigkeit des CGM-Systems wider, sondern wie es Reiterer um die Arbeitsgruppe von Heinemann und del Re bezeichnet: „Grob gesprochen ist es die Verantwortung des cgm Herstellers, um die Leistung seines eigenen Gerätes zu erreichen, aber es ist die Verantwortung des Designers der klinischen Studie, dafür zu sorgen, dass der Prozess diese Leistung widerspiegelt – in unserem Fall die Genauigkeit – mit dem gewünschten Grad an Sicherheit.“

Warum komme ich so ausführlich darauf zu sprechen? Die MARD wird heute als das Maß der Präzision bezeichnet, um ein CGM-System gegenüber anderen Anbieter abzugrenzen. Grundsätzlich ist richtig, je geringer die MARD, desto besser und sicherer sind die Ergebnisse. 

Bei den herkömmlichen, der zitierten DIN Qualität entsprechenden Reflektometern mit punktueller Blutglukose Messung ist die MARD generell zwischen 5-8% nachweisbar und bei Blutglukosewerten <70 mg/dl zwischen 9-16 %. Ziel ist das Erreichen vergleichbarer Resultate und die Einführung von Untersuchungs- und Beurteilungsstandards. Das sind einerseits:

  • Genauigkeit des Messpunkts (point accuracy),
  • Genauigkeit des Glukosetrends (trend accuracy)
  • Sensitivität und Spezifität, Messstabilität, Kalibration und „lag time“der CGM-Messung (physiologisch bedingter, zeitlicher Unterschied zwischen der Blutglukose und der interstitiellen Glukose während eines Glukoseanstiegs und -abfalls.

 

Nur ein Gedanke:

Es wäre durchaus an der Zeit zu überlegen, ob die mobilen CGM Geräte nicht gegen die alte Mess-Methode mittels Biostator© durchgeführt wird. Der 1974 eingeführte Biostator ist der Uralt-Prototyp stationärer kontinuierlicher Blutglukosemessung, um über alle Glukose Daten „absolute“ Erkenntnisse“ objektiv zu erheben. Wie formuliert Peter A. Weiß, der Guru im Bereich Diabetes und Schwangerschaft, 2002 in einem seiner Bücher „Gesetzmäßigkeiten und Algorithmen lassen sich am exaktesten am künstlichen Pankreas (Biostator) erheben.”

Eine weitere Möglichkeit sind „Heat-to-Heat“ Studien, bei denen der Patient bis zu 3 rtCGM Geräte (auch andere CGM-Geräte) gleichzeitig trägt, um analytische Vergleiche durchzuführen und eine „precision absolute relative deviation“ (PARD) zwischen den Systemen  zu ermöglichen.

Nun zu den Neuigkeiten beim Dexcom© G6 System

Die Firma Dexcom© hat mich nun gebeten, doch die genauen Unterschiede zum deutlich verbesserten G6 System darzustellen. Dieser Bitte komme ich gern nach, obwohl die publizierte Warnung  für G4/G5 nichts mit der neuen Generation des G6 System verknüpft werden kann.

Die aktuellen, wesentlichen Daten der Dexcom©-Geräte habe ich in der angehängten  Pdf  zusammengestellt.

MARD

Mit den wenigen Studien, die aktuell existent sind, ist die MARD die geringste von allen bisher auf dem Markt befindlichen Dexcom© Geräten. Die MARD wir mit 9% angegeben und bietet aktuell die größte Verlässlichkeit der Kongruenz zu den tatsächlichen Blutglukosewerten. Die time delay oder lag time“ wird nicht gesondert ausgewiesen. Nach Untersuchungen liegt diese durchschnittlich bei 9 Minuten – Verzögerungszeit des realen Blutglukosewertes zur Erhebung im interstitiellen Gewebe/subkutanen Fettgewebe. Praktisch bedeutet das für den Anwender im Zweifelsfall bei schnellen Blutglukoseschwankungen sofort zu handeln, um speziell schwere hypoglykämien zu vermeiden. Wichtig zu wissen, die „Verzögerungszeit“ im Glukoseaustausch zwischen Blut und subkutanen Gewebe ist individuell verschieden. Abhängig von Insulinwirkung, Nahrungsaufnahme, körperlicher Bewegung etc. Jedoch gibt es einen weiteren Vorteil gegenüber G4/G5

Das Frühwarnsystem

Sofern die Glukose einen schnellen Trend zum Abfall zeigt (Erkennung an den Trendpfeilen) ertönt 20 min bevor die errechnete Blutglukose 55 mg/dl = 3,1 mmol/l erreichen könnte ein Alarm.

Zusätzliche Sicherheit soll eine Alarm-Warnung gegeben, die nach 20 Minuten nach einem Systemausfall (nicht interpretierbare Glukosewerte). Erfahrungsberichte liegen dafür nicht vor. Dies wäre gegenüber den drei ??? auf dem Display des G4/G5 ohne akustische Alarmgebung und damit einem Hinweis, dass das System nicht mehr misst, ein deutlicher Vorschritt. Was es in der Praxis zu beweisen gilt.

Werkkalibrierung

Keine 12 stündige Kalibrierung mehr durch punktuelle Blutglukosebestimmung mittels eines Piers in den Finger. Diese ist im Bedarfsfall jedoch möglich und dürfte ein zusätzlicher Sicherheitsaspekt sein, wenn das System spinnt. Das Prinzip wurde von Abbot mit dem FreestyleLibre eingeführt und zeigt, dass die Messgenauigkeit nicht schlechter ist als eine permanente Kalibrierung durch den User. Sehr fingerschonend!

Sensor

Die  Sensor Tragedauer beträgt 10 Tage. Der Sensor ist dank einer neuen (leider ein Wegwerf-Plastik Inserter) einfacher zu setzen. Ein deutlicher Fortschritt gegenüber dem alten umständlichen Setzen. Es ermöglicht zudem andere Insertionsstellen zu nutzen – hautschonend!

Medikamentöse Interaktionen

Paracetamol ist weltweit eines der beliebtesten und am häufigsten eingenommenen Schmerzmittel und zudem ein OTC-Präparat. Paracetamol Interferenzen (falsch erhöhte Glukosewerte) bis zu einer Dosierung von 1000mg alle 6 Stunden wurden eliminiert.

Unklar ist, inwieweit bekannte Interferenzen mit Lisinopril (ACE-Hemmer – Blutdrucksenker), Albuterol /Salbutanol (ß2-Sympathomimetikum – Asthmamittel), Atenolol (ß-Blocker-Blutdrucksenker) aber auch Rotwein beseitigt wurden, die in einer Pilotstudie von Basu 2017 u. a. für den Dexcom© G4 beschrieben wurden.

Interaktionen mit elektromagnetischen Wellen auch beim G6 – wichtig zu wissen!

Dexcom© gibt in allen Gebrauchsanweisung  (G4 bis G6 Mobile CGM-System) an, vor Untersuchungen und Verfahren, bei denen Magnetresonanztomographie (MRT), Computertomographie (CT) oder Hochfrequenzthermotherapie (Diathermie) eingesetzt werden, den Sensor zu entfernen sind. Begründung, die Geräte wurden nicht unter diesen Bedingungen getestet und Magnetfelder sowie Hitze können die Komponenten des CGM-Systems beschädigen, was zu ungenauen Blutzuckermesswerten führen oder die Auslösung von Warnungen verhindern kann. Folglich können ohne Messwerte oder Alarm-/Warnbenachrichtigungen möglicherweise eine starke Unter-/Überzuckerung verpasst werden.

Interferenzen mit elektromagnetischen Wellen sind aber beschrieben. Im Februar 2018 gibt die FDA ein Update ihrer Veröffentlichung von 2008 heraus. Darin heißt es explizit, dass bei CT Untersuchung und dem Tragen einer Insulinpumpe inklusive  eines CGM oder nur eines CGM (Stand-alone-Gerät), zwar nur wenige schwerwiegenden Fälle bekannt geworden sind, aber in einem Fall sogar tödlich endete. Speziell aufgeführte Komplikationen sind: Hypoglykämien und Hyperglykämie bis zur Ketoazidose, Bewusstseinverlust, Schwindelgefühl, Anfälle plus Verletzungen durch das Umfallen, Herzversagen, Bluthochdruckkrisen.

Weitere Interferenzen werden von Miller 2015 mit Lawinensuchgeräten in lawinenträchtigen Gebieten beschrieben (wichtig für Skifahrer!). Diese sogenannte avalanche transceiver arbeiten in einer Frequenz von 457 kHz. Das Dexcom© G4 (eine der von Miller untersuchten Geräte) zeigte zwar keine Interferenzen wie die Animas Vibe Insulinpumpe, jedoch könne die Summe von elektronischen Geräten zu Interferenzen führen und damit die Funktionen gestören. Miller gibt daher die Empfehlung, dass Diabetiker, die rtCGM mit oder ohne  Insulinpumpe nutzen, mindestens 30 cm von einem Lawinen Suchgerät entfernt bleiben sollen, um die Funktion des rtCGM nicht zu beeinträchtigen. Da zunehmend das gesamte Equipment auf alle möglichen Devices mittels Datenübertragung basiert (hier Bluetooth – low dose Energy) sind für die Zukunft weitere Studien zu erwarten, um Anwender in einer sachgerechten Umgangsweise aufzuklären

Wasserfestigkeit

Ja – bis zu 24 Stunden und  ca. 2,5 Meter unter Wasser. Konsequenz bei Tauchen ablegen. Ansonsten fröhliches Duschen und Planschen.

 

Literatur

Florian Reiterer, Philipp Polterauer, Michael Schoemaker, Guenther Schmelzeisen-Redecker, Guido Freckmann, Lutz Heinemann and Luigi del Re, Significance and Reliability of MARD for the Accuracy of CGM Systems, Journal of Diabetes Science and Technology, 2017, Vol. 11(1) 59–67

Peter A. M. Weiss, Diabetes und Schwangerschaft, Springer-Verlag /WienNewYork, 2002, e-ISBN-13: 978-3-7091-6735-9Seite 469

Shah VN et al.: Performance of a Factory-Calibrated Real-Time Continuous Glucose Monitoring System Utilizing an Automated Sensor Applicator. Diabetes Technology & Therapeutics 20,6. 2018

Leone, J. Leach, R. Paul Wadwa. Introducing The New Dexcom G6, ADA 78th Scientific Sessions, Saturday, June 23, 2018

Welsh JB, Zhang X1 et al, Performance of a Factory-Calibrated, Real-Time Continuous Glucose Monitoring System in Pediatric Participants With Type 1 Diabetes. J Diabetes Sci Technol. 2018 Sep 10:1932296818798816. doi: 10.1177/1932296818798816

Basu A, Slama MQ, Nicholson WT, Langman L, Peyser T, Carter R, Basu R, Continuous Glucose Monitor Interference With Commonly Prescribed Medications: A Pilot Study, Diabetes Sci Technol. 2017 Sep;11(5):936-941. doi: 10.1177/1932296817697329. Epub 2017 Mar 23.

Steven C.M. Miller, Electromagnetic Interference From Electronic Devices Used in the Management of Type 1 Diabetes Can Impair the Performance of an Avalanche Transceiver in Search Mode, WILDERNESS & ENVIRONMENTAL MEDICINE, 26, 232–235 , 2015

Obermaier K, Schmelzeisen-Redeker G, Schoemaker M, et al.,Performance evaluations of continuous glucose monitoring systems: precision absolute relative deviation is part of the assessment. J Diabetes Sci Technol. 2013;7:824-832.

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